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III. Voraussetzungen der Anwendbarkeit des deutschen Spruchverfahrens zugunsten der Anteilsinhaber der deutschen übertragenden Gesellschaft im Rahmen der grenzüberschreitenden Verschmelzung (Art. 10 Abs. 3 S. 1 GrenzVR ; §§ 122h Abs. 1 i.V.m. 14 Abs. 2, 15).

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1. Sinn und Zweck des Art. 10 Abs. 3 GrenzVR und des § 122h Abs.1.

Auf Wunsch von Deutschland und Österreich sind im Art. 10 Abs. 3 S. 1 GrenzVR die
deutschen und österreichischen „Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses“
vom europäischen Gesetzgeber berücksichtigt worden(152). Um dem Umstand Rechnung zu tragen,
dass ein solches Verfahren von den 25 übrigen Rechtsordnungen der Europäischen Union nicht
bekannt ist(153) und bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung mindestens zwei
Rechtsordnungen zur Anwendung kommen(154), waren bestimmte Anpassungen bezüglich der Frage
der Anwendbarkeit des deutschen Spruchverfahrens unerlässlich. Diese befinden sich im Art. 10
Abs. 3 S. 1 (dessen Vorbild Art. 25 Abs. 3 SE-VO ist) und wurden in § 122h Abs. 1 umgesetzt. Diese
Vorschrift spiel eine Vermittlungsrolle zwischen denjenigen Rechtsordnungen, die ein dem
deutschen Recht vergleichbares Spruchverfahren kennen und denjenigen, die ein solches Verfahren
nicht vorsehen.(155). Diese Vorgabe soll außerdem sicherstellen, dass das vom deutschen Recht
vorgesehene gerichtliche Verfahren zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses sowie von
Zuzahlungen bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen zugunsten der Anteilsinhaber des
deutschen übertragenden Rechtsträgers unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwendung kommen
kann : § 122h Abs. 1, der sich auf die Hinausverschmelzung bezieht(156), verändert nämlich das Recht
der Anteilsinhaber einer deutschen übertragenden Gesellschaft zur Einleitung eines Spruchverfahrens
in der Weise, dass ein solches Verfahren nur durchgeführt werden kann, wenn entweder das Recht,
dem die anderen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften unterliegen, ein Verfahren zur
Überprüfung und Änderung des Umtauschverhältnisses ebenfalls vorsieht (1. Fallkonstellation) oder,
wenn das ausländische Recht ein solches Verfahren nicht kennt, die Anteilsinhaber der anderen sich
verschmelzenden Gesellschaften der Möglichkeit der Durchführung des deutschen Spruchverfahrens
im Verschmelzungsbeschluss ausdrücklich zustimmen (2. Fallkonstellation)(157).

2. Erste Fallkonstellation : Die Rechtsordnung der ausländischen aufnehmenden Gesellschaft kennt ein Spruchverfahren.

Nicht ausdrücklich in den Art. 10 Abs. 3 GrenzVR und § 122h Abs. 1 ist die Fallkonstellation
geregelt, in der die Rechtsordnung der ausländischen Gesellschaft ein dem deutschen
Spruchverfahren vergleichbares Verfahren vorsieht. Aus einem Umkehrschluss aus diesen
Vorschriften folgt jedoch, dass die §§ 14 Abs. 2, 15 anwendbar sind und somit das vom deutschen
Recht vorgesehene Spruchverfahren durchführbar ist, wenn das Gesellschaftsstatut, dem der andere
an der Verschmelzung beteiligte Rechtsträger unterliegt, ein solches Verfahren vorsieht(158). In der
Literatur wird vertreten, dass diese Voraussetzung nur vorliegt, wenn in der ausländischen
Rechtsordnung ein solches Verfahren nicht nur generell, sondern auch speziell für den Fall der
grenzüberschreitenden Verschmelzung geregelt ist(159).

Liegt diese Voraussetzung vor, ist das deutsche Spruchverfahren zugunsten der Anteilsinhaber
des deutschen übertragenden Rechtsträgers statthaft und nach den Maßgaben des SpruchG
durchzuführen : Dies soll nach der Begründung des Regierungsentwurfs auch ohne
Anerkennungsbeschluss des übernehmenden Rechtsträgers gelten(160). Eine wichtige Folge dieser Lage
für den Ablauf der grenzüberschreitenden Verschmelzung ist, dass die im Eintragungsverfahren nach
§ 122k von dem deutschen Registergericht zu erteilende Verschmelzungsbescheinigung bei der
Durchführung eines solchen Verfahrens erteilt werden kann, da der Verschmelzungsbeschluss
gleichwohl wirksam ist(161), was nicht der Fall wäre, wenn eine Anfechtungsklage gemäß § 14 Abs. 1
eingeführt worden wäre. Folglich kann die Verschmelzung in das Handelsregister eingetragen
werden. Gemäß § 122k Abs. 2 S. 5 ist jedoch in der Verschmelzungsbescheinigung anzugeben, dass
ein Spruchverfahren anhängig ist.

Fraglich ist, ob § 122h Abs. 1 den Anteilsinhabern der deutschen übertragenden Gesellschaft
bei Vorliegen dieser Fallkonstellation überhaupt einen materiell-rechtlichen Anspruch auf bare
Zuzahlung gewährt. Hierzu enthält diese Vorschrift keine ausdrückliche Regelung. Dies ist aber zu
bejahen, da der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der GrenzVR von einer Anwendung der §§
14 Abs. 2, 15, die den Anteilsinhabern bei Spruchverfahren im Rahmen einer innerstaatlichen
Verschmelzung einen solchen materiell-rechtlichen Anspruch gewähren, ausgegangen ist(162).

Fraglich ist weiterhin, welchem Recht ein etwaiger materiell-rechtlicher Anspruch auf bare
Zuzahlung unterliegt und ob in diesem Zusammenhang die Vereinigungstheorie, von der die
allgemeine Bestimmung des Art. 4 Abs. 1 GrenzVR (umgesetzt in § 122a Abs. 2) ausgeht, hier
Anwendung findet(163). Folgt man der Vereinigungstheorie, kommt das Recht der aufnehmenden
ausländischen Gesellschaft zur Anwendung, da diese im Spruchverfahren Anspruchsgegnerin ist(164).

Dafür spricht insbesondere, dass zur Bestimmung der international zuständigen Gerichte gemäß Art.
60 i.V.m. Art. 2 EuGVVO165 auf den Verwaltungssitz der aufnehmenden Gesellschaft abzustellen ist,
so dass die Anteilsinhaber einer deutschen übertragenden Gesellschaft im Rahmen einer deutschösterreichischen
Verschmelzung zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses das österreichischen
Außerstreitverfahren vor dem zuständigen österreichischen Gericht einleiten müssen(166), was zu einer
gewissen Einheitlichkeit zwischen dem zuständigen Gericht und dem anwendbaren Recht führt.

In der Praxis wird die oben dargestellte Konstellation nur sehr selten auftreten : Außer in
Deutschland ist nämlich ein solches Verfahren gegenwärtig nur im österreichischen
Umwandlungsrecht vorgesehen, so dass diese Fallkonstellation lediglich bei deutsch-österreichischen
Hinausverschmelzungen (Verschmelzung einer deutschen Gesellschaft auf eine österreichische
Gesellschaft) vorliegen wird(167). Häufiger wird also der Fall vorkommen, in dem die Zustimmung der
Anteilsinhaber aller anderen beteiligten Gesellschaften erforderlich sein wird. Deshalb wird für die
weiteren Rechtsfolgen dieser ersten Fallkonstellation in weitem Umfang auf die Ausführungen über
die Rechtslage bei erteilter Zustimmung im Rahmen der zweiter Fallkonstellation verwiesen.

3. Zweite Fallkonstellation : Die Rechtsordnung der ausländischen aufnehmenden Gesellschaft sieht kein Spruchverfahren vor.

Sofern die ausländische Rechtsordnung kein Verfahren zur Kontrolle und Änderung des
Umtauschverhältnisses vorsieht, können die §§ 14 Abs. 2 und 15 im Rahmen einer
grenzüberschreitenden Verschmelzung gemäß § 122h Abs. 1 nur unter der Voraussetzung
angewendet werden, dass die Anteilsinhaber aller ausländischen beteiligten Gesellschaften die
Durchführung des deutschen Spruchverfahrens bei der Zustimmung zum Verschmelzungsplan
ausdrücklich akzeptieren.

a) Zustimmung der Anteilsinhaber ausländischer Gesellschaften.

Meistens wird also die Zustimmung der Anteilsinhaber der an der Verschmelzung beteiligten
ausländischen Gesellschaften erforderlich sein. Laut § 122h Abs. 1 muss die Zustimmung „im
Verschmelzungsbeschluss“ erteilt werden. Diese scheinbar strenge Vorschrift sollte aber unter
Berufung auf eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 10 Abs. 3 GrenzVR, der in seiner weiten
Fassung eine Akzeptanz „bei der Zustimmung zum Verschmelzungsplan“ erfordert(168), so verstanden
werden, dass die Fassung eines separaten, gleichzeitig mit dem Verschmelzungsbeschluss gefassten
Beschlusses über die Zustimmung den Anforderungen des § 122h Abs. 1 genügt(169). Im Schrifttum
wird nämlich vertreten, dass der deutsche Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Anwendung der
§§ 14 Abs. 2, 15 nicht weiter einschränken wollte, als dies in der Richtlinie geboten ist(170). Zudem
würde eine strengere Auslegung des § 122h Abs. 1 dazu führen, dass die Anteilsinhaber der
ausländischen Gesellschaften, die nur die Durchführung des Spruchverfahrens verweigern wollen,
gegen die grenzüberschreitende Verschmelzung als solche stimmen sollten(171).

Welche Mehrheit für den Zustimmungsbeschluss über die Anwendbarkeit des
Spruchverfahrens erforderlich ist, ist umstritten : Zum Teil wird in der Literatur auf das nationale
Recht, dem die ausländische übernehmende Gesellschaft unterliegt, verwiesen(172). Ein anderer Teil
des Schrifttums vertritt hingegen die Ansicht, dass dieselbe Mehrheit wie für die Zustimmung über
den Verschmelzungsbeschluss erforderlich ist(173). Für die letztgenannte Ansicht spricht insbesondere,
dass der europäische Gesetzgeber sich ausdrücklich im Art. 10 Abs. 3 S. 1 GrenzVR auf die
Zustimmung zum Verschmelzungsplan bezieht, so dass man annehmen kann, dass eine Koppelung
von ihm beabsichtigt war(174). Darüber hinaus ermöglicht diese Lösung eine gewisse europäische
Mindestharmonisierung bezüglich des Mehrheitserfordernisses bei der Zustimmung zur
Anwendbarkeit des Spruchverfahrens, während ein Verweis auf das jeweilige nationale
Gesellschaftsrecht eine gewisse Rechtsunsicherheit in sich birgt : Die nationalen Vorschriften über
die Zustimmung zum Verschmelzungsplan sind nämlich durch die Richtlinie 78/855/EWG über die
innerstaatliche Verschmelzung von Aktiengesellschaften(175) harmonisiert worden. I.d.R. verlangt
nämlich Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie, der in § 65 umgesetzt wurde, eine qualifizierte Mehrheit(176),
während die allgemeinen Regeln über die Mehrheitserfordernisse bei der
Anteilsinhaberversammlung in den jeweiligen Rechtsordnungen noch divergieren können. Darüber
hinaus wäre es ungeschickt, wenn eine einfache Mehrheit die Möglichkeit hätte, das finanzielle
Risiko einer Veränderung des Umtauschverhältnisses akzeptieren zu können, während eine
qualifizierte Mehrheit für die Zustimmung des Verschmelzungsplans, der das ursprünglich
vorgesehene Umtauschverhältnis enthält, erforderlich ist(177).

Ob in der Praxis die Anteilsinhaber des ausländischen übertragenden Rechtsträgers ihre
Zustimmung erteilen werden, ist äußerst zweifelhaft. Von der h.M. im Schrifttum wird nämlich
vertreten, dass diese kaum Veranlassung sehen werden, der Durchführung des Spruchverfahrens
zuzustimmen, da dieses in der Praxis nur den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers
zugute kommt.

b) Rechtsfolge.

aa) Rechtsfolge bei Zustimmung.

Die Zustimmung der Anteilsinhaber der ausländischen Gesellschaft wirkt sich sowohl auf der
prozessualen als auch auf der materiell-rechtlichen Ebene aus.

Auf der prozessualen Ebene wird durch die Zustimmung die Durchführung des
Spruchverfahrens ermöglicht. Bei dieser Fallkonstellation stellt dieser Weg für die Anteilsinhaber der
deutschen übertragenden Gesellschaft die einzige Möglichkeit zur Geltendmachung ihrer Rechte dar
: Eine Rüge des Umtauschverhältnisses ist bei erteilter Zustimmung nur über das Spruchverfahren
möglich(178). In diesem Fall findet nämlich § 14 Abs. 2 gemäß § 122h Abs. 1 Anwendung, der zum
Ausschluss der auf der Unangemessenheit des Umtauschverhältnisses gestützten Anfechtungsklage
gegen den Verschmelzungsbeschluss führt. Wie oben ausgeführt betrifft dieser Klageausschluss auch
Informationsmängel(179). Diese Anwendbarkeit des Spruchverfahrens gekoppelt mit dem Ausschluss
der Anfechtungsklage gilt aber nur zugunsten der Anteilsinhaber der deutschen übertragenden
Gesellschaft : Entgegen den zahlreichen Vorschlägen des Schrifttums steht nämlich den
Anteilsinhabern eines deutschen übernehmenden Rechtsträgers im Rahmen einer
grenzüberschreitenden Verschmelzung nur die Möglichkeit zu, im Wege einer Anfechtungsklage
gegen den Verschmelzungsbeschluss vorzugehen(180).

Materiell-rechtlich wird ein Anspruch der Anteilsinhaber der deutschen übertragenden
Gesellschaft auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses durch bare Zuzahlung gegen den
ausländischen übernehmenden Rechtsträger begründet(181). Der Anspruch folgt aus § 15 Abs. 1, dessen
Anwendung durch die Zustimmung erlaubt wird(182). Der Ausgleich kann nur durch bare Zuzahlung in
Geld erfolgen. Ein Ausgleich durch die Gewährung von zusätzlichen Aktien ist trotz den
Forderungen der Literatur und der Praxis bisher nicht möglich(183). Der Zuzahlungsanspruch richtet
sich gegen den übernehmenden oder den im Züge der Verschmelzung neu gegründeten
Rechtsträger(184). Er setzt nicht voraus, dass die das Spruchverfahren einführenden Anteilsinhaber
gegen den Verschmelzungsbeschluss Widerspruch zu Niederschrift erklärt haben. Vielmehr steht der
Anspruch sogar Anteilsinhabern zu, die für die grenzüberschreitende Verschmelzung gestimmt
haben(185). Daher genügt es, dass die betreffenden Anteilsinhaber einfach mit dem Umtauschverhältnis
nicht einverstanden sind, und dies durch die Einführung des Spruchverfahrens deutlich machen oder
infolge der von § 13 Abs. 2 SpruchG angeordneten inter-omnes Wirkung sich nachträglich auf das
Ergebnis des Spruchverfahrens berufen. Dies ermöglicht diesen Anteilsinhabern, gegen das
Umtauschverhältnis vorzugehen, ohne die grenzüberschreitende Verschmelzung im Ganzen in Frage
zu stellen(186).

bb) Rechtslage bei nicht erteilter Zustimmung.

Stimmen die Anteilsinhaber des ausländischen Rechtsträgers der Anwendung des deutschen
Spruchverfahrens nicht zu, kommen die §§ 14 Abs. 2 und 15 nicht zur Anwendung. Folglich kann
das deutsche Spruchverfahren zugunsten der Aktionäre der deutschen übertragenden Gesellschaft
nicht durchgeführt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Anteilseigner schutzlos bleiben :
Da in einem solchen Fall der Klageausschluss des § 14 Abs. 2 nicht gilt, haben diese die Möglichkeit,
im Wege der Anfechtungsklage gegen den Verschmelzungsbeschluss mit der Begründung
vorzugehen, dass das Umtauschverhältnis der Anteile unangemessen ist(187). Diese Folge soll als
„Damoklesschwert“(188) über die Verschmelzung einen gewissen Einfluss auf die Entscheidung der
Anteilseigner der ausländischen Gesellschaft haben, die Zustimmung zum Spruchverfahren zu
erteilen oder nicht, da die Eintragung der grenzüberschreitenden Verschmelzung in das
Handelsregister durch die Einleitung der Anfechtungsklage gemäß § 16 Abs. 2 verhindert wird (sog.
Registersperre) und die Möglichkeit des vom § 16 Abs. 3 vorgesehenen Freigabeverfahrens, der die
Eintragung der Verschmelzung trotz der Anfechtungsklage erlaubt, wenn die Klage unzulässig oder
offensichtlich unbegründet ist, hier wegen der faktischen Unmöglichkeit, die komplizierten Details
einer grenzüberschreitenden Unternehmensbewertung im Rahmen eines Eilverfahrens genau zu
überprüfen, wahrscheinlich erfolglos bleiben wird(189). Bei Ablehnung der Zustimmung zur
Durchführung des deutschen Spruchverfahrens müssen daher die Aktionäre der ausländischen
Gesellschaften dessen bewusst sein, dass ihre Entscheidung zu einer jahrlangen Blockade oder gar
zum endgültigen Scheitern der grenzüberschreitenden Verschmelzung führen kann(190).

Außerdem haben die Anteilsinhaber der deutschen übertragenden Gesellschaft die
Möglichkeit, gemäß § 122i gegen eine angemessene Barabfindung aus der Gesellschaft
auszuscheiden. Voraussetzungen dafür sind, dass die aufnehmende oder neu gegründete Gesellschaft
nicht dem deutschem Recht unterliegt und dass die berechtigten Anteilsinhaber Widerspruch zu
Niederschrift erklärt haben.

4. Bewertung dieses Systems.

a) Zweifel bezüglich der Zustimmungsbereitschaft der Anteilsinhaber der ausländischen Gesellschaft.

In der Literatur wurden viele Zweifel an die Zustimmungsbereitschaft der Anteilsinhaber der
ausländischen Gesellschaft geäußert. Viele Autoren vertreten nämlich die Meinung, dass zur Zeit nur
wenigen Anlass dafür besteht, dass die Anteilsinhaber der aufnehmenden Gesellschaft, deren
Gesellschaftsstatut ein derartiges Verfahren nicht vorsieht, die Durchführung des Spruchverfahrens
akzeptieren(191). Für eine Verweigerung der Zustimmung sprechen nämlich zahlreiche Argumente.

Zunächst wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die mögliche nachträgliche Verbesserung des
Umtauschverhältnisses zugunsten der Anteilsinhaber der übertragenden Gesellschaft, die sich in
einer Zuzahlungspflicht der aufnehmenden Gesellschaft verwirklicht, eine wichtige Belastung des
Vermögens des aufnehmenden Rechtsträgers in der Form eines erheblichen Liquiditätsabflusses
verursacht(192), zumal es für die Höhe der baren Zuzahlung (außer vielleicht aufgrund der
Kapitalerhaltungsvorschriften des aufnehmenden Rechtsträgers) keine betragsmäßige Begrenzung
gibt(193) und die Vorschläge der Literatur zugunsten der Ermöglichung eines Ausgleiches durch
Gewährung von zusätzlichen Aktien(194) bisher auf die gesetzgeberische Tätigkeit wirkungslos
geblieben sind. Dieser potentielle Liquiditätsabfluss wird durch die Inter-omnes-Wirkung des im
Spruchverfahren ergangenen Urteils (§ 13 S. 2 SpruchG), nach der auch diejenigen Gesellschafter,
die mit dem ursprünglichen Austauschverhältnis einverstanden waren, in den Genuss des im Züge
des Spruchverfahrens verbesserten Umtauschverhältnisses kommen, sowie durch die im § 15 Abs. 2
vorgesehene Verzinsungspflicht (bei einem Verfahren, das mehrere Jahre dauern kann)
verschlimmert(195). Kommt das Gericht zu der Entscheidung, dass kein Ausgleich durch bare
Zuzahlung zu erfolgen hat, hat der aufnehmende oder neu gegründete Rechtsträger auf jeden Fall die
Verfahrenskosten zu tragen, so dass die Durchführung des Spruchverfahrens sich zwingend auf sein
Vermögen negativ auswirkt(196). Darüber hinaus kann die mit dem Spruchverfahren verbundene,
möglicherweise jahrelange Unsicherheit bei börsennotierten Gesellschaften zu Abschlägen an der
Börse und generell zu erheblichen Schwierigkeiten bei der zwischenzeitlichen Eigenkapitalaufnahme
über die Börse und außerhalb der Börse führen(197).

Außerdem ist hervorzuheben, dass das Spruchverfahren in der Praxis nur den Anteilsinhabern
der deutschen (oder bei der Fallkonstellation des § 122h Abs. 2 : ausländischen) übertragenden
Gesellschaft aber gar nicht denjenigen des aufnehmenden Rechtsträgers zugute kommen kann, was
diese letzteren kaum anregen sollte, die Anwendbarkeit des deutschen Spruchverfahrens zu
akzeptieren. Zuerst spiegelt sich diese Behauptung darin wieder, dass in den Absätzen 1 und 2 des §
122h nur die Anteilsinhaber der übertragenden Gesellschaft als Antragsberechtigte in Betracht
kommen, aber gar nicht von denjenigen des aufnehmenden Rechtsträgers die Rede ist. Diese
Ungleichbehandlung zwischen den Anteilsinhabern des übertragenden und denjenigen des
aufnehmenden Rechtsträgers führt nach ganz überwiegender Auffassung dazu, dass eine reformatio
in peius, d.h. eine Verschlechterung des Umtauschverhältnisses zu Lasten der Anteilsinhaber der
übertragenden Gesellschaft und zugunsten der Anteilsinhaber des aufnehmenden Rechtsträgers im
Wege des Spruchverfahrens, im aktuellen Gesetzeszustand ausgeschlossen ist(198). Dies bedeutet, dass
bei dem aus Sicht der Anteilsinhaber der ausländischen übernehmenden Gesellschaft günstigsten
Ausgang des Spruchverfahrens diese letzteren nichts verlieren, aber das Umtauschverhältnis zu ihren
Gunsten nicht verbessert werden kann (auch wenn die übertragende Gesellschaft zu hoch bewertet
worden ist). Außerdem sind die Anteilsinhaber der ausländischen übernehmenden Gesellschaft nicht
am Spruchverfahren beteiligt, sondern lediglich von einem gemeinsamen Vertreter nach § 6c
SpruchG vertreten, der grundsätzlich nicht in der Lage sein wird, die oben dargestellten materiellen
Benachteiligungen abzumildern(199).

Der einzige (aber sehr gewichtige) Anlass für die Anteilsinhaber der ausländischen
Gesellschaft, der Durchführung des Spruchverfahrens zuzustimmen, ist somit die Verhinderung einer
auf die Unangemessenheit des Umtauschverhältnisses gestützten Anfechtungsklage im Sinne des §
14 Abs. 1 und deren Sperrwirkung, die geeignet sind, den Ablauf der grenzüberschreitenden
Verschmelzung erheblich zu verzögern, oder diese gar scheitern zu lassen(200). Trotz dieser wichtigen,
gegebenenfalls für die Verschmelzung fatalen Folge, sind viele Autoren der Meinung, dass § 122h
Abs. 1 in der Praxis bei transnationalen Strukturveränderungen ins Leere laufen wird und das
Spruchverfahren nur ausnahmsweise statthaft sein wird(201). Deshalb hat das Schrifttum bestimmte
gesetzliche Veränderungen vorgeschlagen, um zu einer sachgerechten Lösung zugunsten der
Anteilsinhaber der übertragenden Gesellschaft hinsichtlich des Umtauschverhältnisses zu gelangen,
denen der deutsche Gesetzgeber bisher nicht gefolgt ist(202).

b) Verbesserungsvorschläge des Schrifttums.

Nach Bayer ist das Minderheitenschutzsystem des § 122h Abs. 1 „insgesamt unpraktikabel
und in sich widersprüchlich“ und sollte daher „dringend reformiert werden“(203), ohne dass ein völliger
Verzicht auf einen angemessenen Minderheitenschutz (wie z.B. im englischen Recht) in Betracht
kommt(204). Infolgedessen wurden bestimmte Vorschläge zur Veränderung des Umwandlungsgesetzes
von der Literatur und der Praxis formuliert. Hauptsächlicher Zweck dieser Vorschläge ist, die
Durchführung des deutschen Spruchverfahrens für die Gesellschafter der ausländischen
übertragenden Gesellschaft günstiger zu machen, um zugleich die Rechte der Anteilsinhaber des
deutschen übertragenden Rechtsträgers zu sichern und eine Blockade (oder gar ein Scheitern der
Verschmelzung) zu verhindern.

Im Vordergrund steht insbesondere der Gedanke, dass der Gesetzgeber für eine
Gleichbehandlung zwischen den Anteilsinhabern der deutschen übertragenden und denjenigen der
ausländischen übernehmenden Gesellschaft sorgen sollte(205). Die Umwandlung des Spruchverfahrens
in ein kontradiktorisches Verfahren(206) sowie die Einführung der Möglichkeit des reformatio in peius
des Umtauschverhältnisses zumindest im Rahmen der grenzüberschreitenden Verschmelzung werden
somit vorgeschlagen(207). Diesem letzten Vorschlag sollten keine auf Art. 4 Abs. 2. S. 2 gestützten
kompetenzrechtlichen Bedenken entgegenstehen, denn er beträfe unmittelbar lediglich die
Anteilsinhaber der deutschen übertragenden Gesellschaft, und nicht diejenigen des ausländischen
Rechtsträgers, obwohl diese dadurch möglicherweise im Endeffekt durch die Verschlechterung des
Umtauschverhältnisses zu Lasten der Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers begünstigt
werden(208). Vorgeschlagen wurde ebenfalls, der aufnehmenden Gesellschaft, die im Spruchsverfahren
Anspruchsgegnerin ist, zu erlauben, an der Stelle der baren Zuzahlung zusätzliche Anteile zu
gewähren, damit sie nicht durch einen zu großen Liquiditätsabfluss benachteiligt wird, falls das
Gericht im Laufe des Spruchverfahrens zum Schluss kommt, dass das angebotene
Umtauschverhältnis unangemessen ist(209).

Auf der anderen Seite werden Vorschläge formuliert, die auf eine größere Praktikabilität und
Effizienz des Freigabeverfahrens als effektives Mittel zur Abwehr offensichtlich unzulässiger oder
unbegründeter Anfechtungsklagen abzielen : Nach dem Handelsrechtsausschuss des Deutschen
Anwaltsvereins wäre die Einführung von Beweiserleichterungen zugunsten der aufnehmenden
Gesellschaft im Rahmen des § 16 Abs. 3 dazu geeignet, das Freigabeverfahren effizienter zu machen
und somit eine Blockade der Verschmelzung zu vermeiden, soweit es um die Unbegründetheit von
Bewertungsrügen geht(210). Dadurch soll im Falle einer wegen der Unanwendbarkeit des
Spruchverfahrens statthaften Anfechtungsklage nach § 14 Abs. 1, 2 die Eintragung der
Verschmelzung ermöglicht werden.

Viele Autoren sind darüber einig, dass die oben vorgeschlagenen Gesetzesveränderungen
nicht nur auf die grenzüberschreitenden Verschmelzung beschränkt bleiben sollten, sondern vielmehr
im Rahmen einer grundlegenden Reform des Minderheitenschutzsystems und des Spruchverfahrens
im Rahmen sowohl internen als auch grenzüberschreitenden Verschmelzungen (§§ 14 f., 29 ff.), in
das Umwandlungsgesetz eingefügt werden sollten(211).

152 Neye/Timm, DB 2006, 488 (489).
153 Neye, ZIP 2005, 1893 (1897).
154 Teichmann, ZGR 2003, 367 (370).
155 Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122h Rn. 2.
156 Kulenkamp, S. 340 ; Die Anteilsinhaber der ausländischen übertragenden Gesellschaft werden nämlich nicht von §
122h Abs. 1 erfasst, sondern nur von § 122h Abs. 2, der im Gegensatz zu § 122h Abs. 1 keinen materiell-rechtlichen
Anspruch gewährt.
157 Klein, RNotZ 2007, 565 (598).
158 Kulenkamp, S. 342.
159 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 10 ; Simon/Rubner, DK 2006, 835 (840).
160 Begr. RegE, BR-Drucks. 548/06, S. 33 ; Drinhausen/Keinath, BB 2006, 725 (731).
161 Klein, RNotZ, 565 (598).
162 BT-Drucks. 16/2919, S. 16.
163 Ausführlich hierzu Lutter/Drygala, JZ 2006, 770 (773).
164 Müller, DK 2007, 81 (85).
165 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG L 12 vom 16.1.2001.
166 Müller, DK 2007, 81 (85).
167 § 225c des österreichischen Aktiengesetzes : (1) Ist das Umtauschverhältnis oder sind die allfälligen baren
Zuzahlungen nicht angemessen festgelegt, so hat jeder Aktionär einer der beteiligten Gesellschaften einen Anspruch
gegen die übernehmende Gesellschaft auf Ausgleich durch bare Zuzahlungen. (2) Im Fall des Abs. 1 kann ein Antrag bei
Gericht gestellt werden, dass das Umtauschverhältnis überprüft wird und die übernehmende Gesellschaft einen Ausgleich
durch bare Zuzahlungen zu leisten hat.
168 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 11.
169 Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122h Rn. 6.
170 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122 h Rn. 11.
171 Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122h Rn. 6.
172 So Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122h Rn. 6.
173 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 12.
174 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 12.
175 Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages
betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABl. Nr. L 295 vom 20/10/1978, S. 36.
176 Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 78/855/EWG verlangt eine qualifizierte Mehrheit von „nicht weniger als zwei Dritteln der
Stimmen der vertretenen Wertpapiere oder des vertretenen gezeichneten Kapitals“. Bei der Umsetzung dieser Vorschrift
ist der deutsche Gesetzgeber strenger als die Richtlinie gewesen, da § 65 Abs. 1 S. 1 UmwG eine Mehrheit von drei
Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals verlangt. Diese Verstärkung des Schutzes der Aktionäre
wurde dadurch ermöglicht, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 78/855/EWG nur auf eine Mindestharmonisierung abzielt
(Lösekrug, S. 233).
177 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 12.
178 Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122h Rn. 8.
179 Siehe S. 32.
180 Bayer, ZHR 172 (2008), 24 (26) ; Bayer/Schmidt, NZG 2006, 841 (844), Bayer/Schmidt, NJW 2006, 401 (406) ;
Vetter, AG 2006, 613 (625).
181 Müller, DK 2007, 81 (84).
182 Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122h Rn. 9.
183 Bayer/Schmidt, NZG 2006, 841 (844).
184 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 17 ; Trotz einigen in der Literatur geäußerten Bedenken gegen eine solche
Verpflichtung eines ausländischen Rechtsträgers durch das deutsche Recht (insbesondere : Müller, DK 2007, 81 (87)), ist
davon auszugehen, dass dies ausnahmsweise durch Art. 4 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2005/56/EG gedeckt ist (Kulenkamp,
S. 337).
185 Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122h Rn. 9.
186 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 18.
187 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 9 ; Drinhausen/Keinath, BB 2006, 725 (731) ; Neye/Timm, DB 2006, 488 (492) ;
Oechsler, NZG 2006, 161 (164) ; Müller, DK 2007, 81 (84) ; Frenzel, S. 317. Haritz/von Wolff, GmbHR 2006, 340
(342).
188 Teichmann, ZGR 2002, 383 (428).
189 Kulenkamp, S. 344.
190 Müller, DK 2007, 81 (84).
191 Siehe unter anderen Kulenkamp, S. 343-346 ; Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 4 ; Bayer/Schmidt, NJW 2006, 401
(406) ; Vetter, AG 2006, 613 (622) ; Kiem, WM 2006, 841 (844) ; Kalss, ZGR 2003, 593 (627) ; Kübler, ZHR 167
(2003), 627 (629).
192 Bayer/Schmidt sprechen von einer « Belastung der beteiligten Gesellschaften mit erheblichem Aufwand und Kosten »
(NJW 2006, 401 (405)).
193 Vetter, AG 2006, 613 (623).
194 z.B. : Vetter, ZHR 168 (2004), 8 (42).
195 Vetter, AG 2006, 613 (622).
196 Kulenkamp, S. 343.
197 G. Bezzenberger/T. Bezzenberger in : FS Welf Müller, S.1, 12 ff. und insbesondere 20 ff.
198 Klöcker/Frowein, SpruchG, § 11 Rn. 3 ; Teichmann, ZGR 2003, 367 (386) ; Vetter, AG 2006, 613 (622) ;
Krieger/Mennicke in : Lutter, UmwG, § 11 SpruchG Anhang 1 Rn. 2 ; Martens, AG 2000, 301 (308) ;
Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG, § 11 Rn 4 ; Vetter in : Lutter/Hommelhoff, S. 111.
199 Vetter, AG 2006, 613 (622).
200 Klein, RNotZ 2007, 565 (599).
201 Kulenkamp, S. 344.
202 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 4.
203 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 4.
204 Bayer/Schmidt, NJW 2006, 401 (406).
205 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 4.
206 Teichmann, ZGR 2003, 367 (386).
207 Bayer/Schmidt, NZG 2006, 841 (844) ; Vetter, AG 2006, 613 (625) ; Drinhausen/Keinath, BB 2006, 725 (731).
208 Kulenkamp, S. 346.
209 Handelsrechtausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2004, 75 (76) ; Bayer/Schmidt, NJW 2005, 401 (406).
210 Handelsrechtausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2004, 75 (77).
211 Bayer/Schmidt, NJW 2006, 401 (406) ; dies., NZG 2006, 841 (844) ; Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h Rn. 4 ; Müller,
DK 2007, 81 (84) ; Kulenkamp, S. 346.

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